Der Einsatz von Ginkgo, Fluoxetin (Prozac) und Focalin als „Behandlung" beim Down-Syndrom

Eine Kombination von Medikamenten, die bei Depressionen und Aufmerksamkeitsstörungen empfohlen werden, wird weitgehend als „Behandlung" beim Down-Syndrom angepriesen. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für die regelmäßige Anwendung dieses Behandlungsprotokolls bei Menschen mit Down-Syndrom. Es ist wichtig, dass Familien und Ärzte sowie medizinische Fachkräfte sich bewusst sind, dass die Unbedenklichkeit und die Wirksamkeit dieser Medikamente wissenschaftlich nicht bewiesen ist.

Down Syndrome Research and Practice

Einleitung

Wir sind eine Gruppe von medizinischen Fachkräften, Wissenschaftlern und Elternorganisationen, die sich für Menschen mit Down-Syndrom einsetzen. Wir möchten betroffenen Familien Informationen über diese propagierte „Behandlung" des Down-Syndroms zukommen lassen. Uns ist natürlich bewusst, dass alle Eltern das Leben ihrer Kinder mit Down-Syndrom positiv beeinflussen und verbessern möchten und deshalb an allen Behandlungen, Therapien und möglichen Interventionen interessiert sind, die dabei helfen können. Wir respektieren diese Wünsche. Allerdings haben wir auch Bedenken, weil diese "Behandlungen" eventuell gefährlich sind.

Wir alle wissen, welche Fortschritte in der Gedächtnis- und Kognitionsforschung bei Tiermodellen mit dem Down-Syndrom erzielt wurden und setzen große Hoffnungen darauf, dass diese Studien neue Wege aufzeigen werden und eine Verbesserung der Lebensqualität und der Lebensumstände von Menschen mit Down-Syndrom mit sich bringen. Ärzte und Biomediziner untersuchen mögliche intervenierende Behandlungen im Hinblick auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit bei den Patienten. Wie wir im weiteren Text beschreiben, haben die von der Changing Minds Foundation empfohlenen "Behandlungen" keine der durchgeführten Untersuchungen bestanden: es gibt keine Informationen darüber, ob diese Präparate für Kinder und insbesondere für kleine Kinder unbedenklich sind. Des Weiteren gibt es keine Belege für den therapeutischen Nutzen dieser Präparate und die diesbezüglich aufgestellten Behauptungen.

Ihre Kinder sind uns wichtig, deshalb bitten wir die betroffenen Familien eindringlich, diese Informationen zu berücksichtigen, wenn Sie sich mit dieser „Behandlung" befassen.

Das Behandlungsprotokoll

Eine Organisation, die sich Changing Minds Foundation nennt, propagiert eine „neue Behandlung beim Down-Syndrom", die Ergebnisse zeigt, die „das Leben verändern werden". Diese "Behandlung" enthält regelmäßige Gaben von Fluoxetin (Prozac), Dexmethylphenidat (Focalin XR) und Ginkgo biloba, Phosphatidylcholin, 'Body Bio Balance Oil' und Folinsäure. Einigen dieser Substanzen werden mögliche gesundheitsgefährdende Nebenwirkungen zugeschrieben. Einige dieser Nebenwirkungen können vor allem bei Menschen mit Down-Syndrom und bei jüngeren Kindern bedenklich sein.

Fluoxetin (Prozac) wird normalerweise in der Behandlung von Depressionen, Zwangsstörungen, Bulimia nervosa und Panikstörungen eingesetzt. Mit Dexmethylphenidat (Focalin XR) werden in der Regel Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) behandelt. Der Einsatz dieser Medikamente sollte von einem entsprechend qualifizierten Mediziner initiiert und überwacht werden und auf die jeweiligen Indikationen und Therapien beschränkt bleiben, für die sie von den entsprechenden Arzneimittelbehörden zugelassen wurden.

Belege für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit

Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, die den Einsatz dieses Behandlungsprotokolls in jeglicher Form bei Menschen mit Down-Syndrom jeglichen Alters zur Verbesserung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit und weiterer kognitiver Fähigkeiten unterstützen würden. Zudem gibt es keine Belege für die Unbedenklichkeit dieses Protokolls bei regelmäßiger Gabe.

Die wenigen Studien, die den Nutzen dieses Behandlungsprotokolls belegen sollen, sind Studien, die an Mäusen durchgeführt wurden. Diese Mäuse wurden speziell so gezüchtet, dass sie eine zusätzliche Kopie einiger Gene haben, die mit Genen vergleichbar sind, die bei Menschen auf dem 21. Chromosom liegen. (Menschen mit Down-Syndrom haben ein zusätzliches 21. Chromosom). Diese Studien können ein Hinweis darauf sein, dass diese Präparate bei Menschen mit Down-Syndrom Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung und Lernfähigkeit haben. Allerdings reichen Studien, die nur mit Mäusen durchgeführt werden, nicht aus, um den Einsatz dieses (oder jedes anderen) Medikamentenprotokolls bei Kindern oder Erwachsenen mit Down-Syndrom zu rechtfertigen.

Die Promotionsvideos der Changing Minds Foundation belegen die Behauptungen über den Nutzen dieses Behandlungsprotokolls nicht. Zwar werden Menschen gezeigt, die im Alltag sehr gut zurechtkommen, aber keine dieser Personen zeigt Funktionsfähigkeiten, die die sehr unterschiedlichen Fertigkeiten von anderen Menschen mit Down-Syndrom übersteigen. Die angegebenen Veränderungen, die aufgrund der „Behandlung" eingetreten sein sollen, können die Folge von vielen verschiedenen Faktoren sein. Nur eine randomisierte kontrollierte Studie kann die Wirkung einer Behandlung klar belegen.

Wissenschaftliche Fortschritte

In den letzten 30 Jahren hat die wissenschaftliche Forschung sehr zu einem besseren Verständnis des Down-Syndroms beigetragen. Dies hat dazu geführt, dass Menschen mit Down-Syndrom Zugang zu einer verbesserten medizinischen Versorgung und besseren Ausbildungsmöglichkeiten haben. Viele Wissenschaftler und Organisationen arbeiten weiterhin daran, mehr Wissen und Verständnis im Hinblick auf das Down-Syndrom zu gewinnen um so die Lebensqualität von Menschen mit Down-Syndrom positiv zu beeinflussen.

Auch wenn die Geschwindigkeit, mit der neue Fortschritte erreicht werden, oft langsam erscheint und zu Frustrationen führen kann, können doch nur sorgsam durchgeführte Forschungsprojekte und streng kontrollierte Studien die notwendigen Belege erbringen, die zeigen, ob eine Behandlung wirksam und unbedenklich ist.

Weitere Informationen

Ginkgo

Obwohl Bilobalid, einer der Inhaltsstoffe von Ginkgo Biloba, nachgewiesenerweise als GABA-Antagonist fungiert, wurde die Aktivität bisher jedoch nur in isolierten Zellen getestet und auch nur bei einem Subtyp eines GABA-Rezeptors. Es wurden bisher keine kontrollierten Studien bei Tier oder Mensch durchgeführt, um sichere Dosierschemata zu ermitteln oder den propagierten Nutzen zu belegen.

Fluoxetin (Prozac)

Die Wirkweise von Fluoxetin auf das Wachstum neuer Nervenzellen, das in einem Teil des Gehirns von Ts65Dn-Mäusen beobachtet wurde, konnte beim Menschen nicht reproduziert werden. Veröffentlichte Fallstudien deuten an, dass während der Schwangerschaft eingenommene Arzneimittel wie Prozac dem Ungeborenen schaden können. Die möglichen Auswirkungen auf das sich noch entwickelnde Gehirn von Babies und jungen Kindern sind unbekannt. Eine allgemeine oder unkontrollierte Steigerung des Nervenzellwachstums ist nicht unbedingt positiv zu sehen, vor allem nicht, wenn dies über einen längeren Zeitraum geschieht.

Dexmethylphenidat (Focalin XR)

Der Einsatz dieses Stimulanzpräparats sollte bei Kindern mit Herzfehlern sorgfältig abgewogen werden. Hierzu zählen etwa die Hälfte aller Kinder mit Down-Syndrom. Auch hier wird die Gabe solcher Präparate bei Babies und Kleinkindern nicht empfohlen.

Folinsäure

Die Supplementierung mit Folinsäure hat bei Kleinkindern und Kindern mit Down-Syndrom bisher keine signifikante Wirkung im Hinblick auf deren Entwicklung gezeigt.

Verwendung außerhalb der zugelassenen Indikation

Familien und medizinische Fachkräfte müssen sich dessen bewusst sein, dass der Einsatz dieses Behandlungsprotokols zum jetzigen Zeitpunkt rein experimentell erfolgt, ohne dass es Belege durch eine kontrollierte Studie gibt. Das Überwachen des Patienten auf Nebenwirkungen durch die Präparate muss durch den verordnenden Arzt erfolgen, wobei es damit allerdings keine Stelle gibt, die diese Informationen sammelt, um auftretende Risiken zu dokumentieren. Das bedeutet auch, dass positive Auswirkungen nicht auf glaubwürdige Weise dokumentiert werden können, so dass diese Informationen medizinischen Fachkräften nicht zur Verfügung stehen, die eventuell den Nutzen dieser Behandlungen abwägen.

Es gibt gegenwärtig keine Belege für die Wirksamkeit dieser Behandlung bei Menschen mit Down-Syndrom, wohl aber bestehen hier bedeutende Gesundheitsrisiken.

Diese Ausführungen wurden von den folgenden Wissenschaftlern und Klinikern unterzeichnet:

  • Roel Borstlap, Paediatrican n.p., Stichting Downsyndroom, The Netherlands.
  • Sue Buckley OBE. Director of Science and Research, Down Syndrome Education International and Emeritus Professor of Developmental Disability, University of Portsmouth, UK.
  • William I Cohen, MD. Developmental-Behavioral Pediatrician, Director, Down Syndrome Center of Western PA Children's Hospital of Pittsburgh of UPMC, Professor of Pediatrics and Psychiatry, University of Pittsburgh School of Medicine, USA.
  • Sindoor S Desai, BDS, Cleveland, New York, USA.
  • Jesús Flórez, MD, PhD. Professor of Pharmacology, University of Cantabria School of Medicine, Santander, Spain.
  • Sallie Freeman, Ph.D. Professor Emeritus. Down Syndrome Clinic Advisor, Department of Human Genetics, Emory University School of Medicine, Georgia, USA.
  • Edward J Goldson, MD. Pediatrician, The Children's Hospital, Aurora, Colorado, USA.
  • Lilliam Gonzalez de Pijem, MD. Pediatric Endocrinologist. Puerto Rico Down Syndrome Association, San Juan, Puerto Rico.
  • Joan E Guthrie Medlen, RD, LD. Vice President Down Syndrome Education USA, Director, Disability Compass, Publisher, Phronesis Publishing, Author, The Down Syndrome Nutrition Handbook.
  • Rob Hanson, MD, PhD. Pediatric Cancer and Hematology Center, St. John's Mercy Medical Center, St. Louis, Missouri, USA.
  • Michael M Harpold, PhD, Chief Executive Officer, Down Syndrome Research and Treatment Foundation, USA.
  • Jacqueline London, Professor of Molecular and Pathological Biochemistry, University Paris-Diderot, Paris, France.
  • Acisclo M Marxuach, MD. Fundación Puertorriqueña Síndrome Down, San Juan, Puerto Rico.
  • Philip J Mattheis, MD. Associate Professor, Cincinnati Children's Hospital Medical Center, Ohio, USA.
  • William C Mobley MD, PhD. Professor, Department of Neurology and Neurological Sciences and Director, Center for Research and Treatment of Down Syndrome, Stanford University, California, USA.
  • David Patterson, PhD. Professor, Department of Biological Sciences, Eleanor Roosevelt Insitute, University of Denver, Colorado, USA.
  • Alberto Rasore-Quartino, Professor, Unit of Neonatology, Galliera Hospital, Genoa, Italy.
  • David S Smith, MD. Program Director, Down Syndrome Clinic of Wisconsin Children's Hospital, Wisconsin, USA.
  • Dr Renaud Touraine, CHU-Hôpital Nord, Service de Génétique, Saint Etienne, France
  • Jeannie Visootsak, MD, FAAP. Assistant Professor, Developmental-Behavioral Pediatrics, Department of Human Genetics & Pediatrics, Emory University School of Medicine, Georgia, USA.
  • Patricia White, MD, Chair, Board of Directors, Down Syndrome Research and Treatment Foundation, USA.

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